Ertragswertverfahren – Schritt für Schritt-Anleitung mit Beispielen

Du kaufst eine Immobilie als Kapitalanlage und möchtest wissen, wie viel Geld sie voraussichtlich abwirft? Dann ist das Ertragswertverfahren unverzichtbar. 

Als zugelassenes Verfahren zur Immobilienschätzung in Deutschland wird dieses Verfahren häufig von Gutachtern eingesetzt. Doch natürlich kannst du es auch in Eigenregie anwenden. Wie das geht, in welchen Schritten du vorgehen musst und welche Stolperfallen zu beachten sind, zeige ich dir in diesem Artikel.

Ertragswertverfahren – Grundlagen

Die Grundlagen des Ertragswertverfahrens findest du in diesen Gesetzestexten:

Sowohl das Bewertungsgesetz (BewG) als auch die Immobilienwertverordnung (ImmoWertV) stellen das Verfahren in Grundzügen dar und erklären, wie sich der Ertragswert berechnet. 

Wann wird das Ertragswertverfahren angewandt?

Wie der Name schon sagt, kommt das Ertragswertverfahren immer dann zum Einsatz, wenn der Ertrag einer Immobilie geschätzt werden soll. Das ist meist bei der Vermietung/Verpachtung dieser Objekte der Fall:

  • Mehrfamilienhäuser
  • Eigentumswohnungen
  • Bürogebäude
  • Spezialimmobilien wie Tankstellen oder Hotels

Für selbst genutzte Immobilien wird dagegen meist das Sach- oder Vergleichswertverfahren angewandt.

Vor- und Nachteile des Ertragswertverfahrens

Da das Ertragswertverfahren zahlreiche Parameter berücksichtigt – vom Gebäude- und Bodenwert über marktüblich zu erwartende Erträge bis zu wertsteigernden und -senkenden Faktoren, gilt dieses Verfahren als äußerst präzise. Die zu erwartenden Erträge lassen sich zuverlässig abschätzen.

Bedenke jedoch: Die Immobilienbewertung erfolgt immer anhand der aktuellen Mietpreise. Eine Preissteigerung – wie sie z. B. in besonders gefragten Wohngegenden zu erwarten ist – wird nicht berücksichtigt. 

Auch das Risiko von Mietausfällen kann in diesem Verfahren nicht hundertprozentig einkalkuliert werden. Es gibt also keine Garantie, dass die Immobilie immer den geschätzten Ertrag abwirft. 

Ein weiterer Nachteil: Das Ertragswertverfahren stützt sich auf den Liegenschaftszins: einen Faktor, der anhand von Kaufpreis und Ertrag ermittelt wird. Nicht immer liegen dazu in jeder Region ausreichend Daten vor, was die Berechnung verzerren kann. Dieses Problem betrifft vor allem ländliche Gebiete.

Ertragswertverfahren – Ablauf Schritt für Schritt

Schritt 1: Reinertrag berechnen

Zunächst wird der Ertrag ermittelt, den das Gebäude pro Jahr abwirft, bevor davon die Bewirtschaftungskosten abgezogen werden. So erhält man den Reinertrag.

Die Formel lautet:

Reinertrag = Jahresrohertrag – Bewirtschaftungskosten

Jahresrohertrag

Beim Ertrag handelt es sich meistens um die Miete, die eine Immobilie in einem Jahr bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung einbringt. Jedoch ist für die Berechnung nicht der tatsächlich erzielte, sondern der marktübliche Mietzins entscheidend. Dieser wird auch dann angesetzt, wenn das Objekt längere Zeit leer stand oder noch nie vermietet wurde.  

Um den Jahresrohertrag zu ermitteln, musst du wissen, wie viel Miete eine Immobilie dieser Art für gewöhnlich am Standort einbringt, und diesen Wert mit der Quadratmeterzahl multiplizieren:

Jahresrohertrag = ortsübliche Miete x Quadratmeterzahl x 12 (Monate)

Die ortsübliche Miete lässt sich am einfachsten über den Mietspiegel deiner Region ermitteln. Doch nicht überall ist ein solcher Mietspiegel verfügbar. Dann muss die ortsübliche Miete anhand der folgenden Methoden berechnet werden:

  • mindestens drei andere Wohnungen, die mit dem zu bewertenden Objekt hinsichtlich Größe, Raumanzahl, Lage, Ausstattung und Baujahr vergleichbar sind. Aus den Mieten für diese Wohnungen wird ein Durchschnittswert gebildet.
  • Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen
  • Mietdatenbank: Diese Sammlung von Mieten am Standort wird laufend aktualisiert und bildet das Mietniveau daher oft präziser ab als der Mietspiegel.

Außerdem muss der sog. Underrent bzw. Overrent berücksichtigt werden, falls das Objekt in der Vergangenheit weniger oder mehr Miete eingebracht hat als marktüblich. 

Ein Beispiel:

Eigentumswohnung XY brachte bisher 8 Euro/Quadratmeter an Miete ein. Die ortsübliche Miete liegt jedoch bei 9 Euro/Quadratmeter. Darum wird der zweite Wert für den Jahresrohertrag herangezogen. 

Multipliziert man diese ortsübliche Miete mit der Wohnfläche – beispielsweise 40 m2 – und 12 Monaten, ergibt das einen Jahresrohertrag von 4.320 Euro.

Bewirtschaftungskosten

Jede Immobilie ist mit Kosten verbunden, die den Ertrag schmälern – etwa für Verwaltung, Instandhaltung und Reparaturen. Auch Leerstand und damit verbundene finanzielle Einbußen müssen berücksichtigt werden. 

Realistischerweise betragen die Bewirtschaftungskosten etwa 25 % des Jahresrohertrags. Sie können jedoch auch höher ausfallen – etwa, wenn das Gebäude Anlagen besitzt, die aufwändig gepflegt und gewartet werden müssen.

Wichtig: Natürlich musst du als Vermieter nicht alle Bewirtschaftungskosten selbst tragen. Umlagefähige Nebenkosten wie Strom, Heizung, Wasser sowie die Reinigung des Gebäudes werden bei den Abzügen vom Rohertrag nicht berücksichtigt. 

Welche Kosten sich auf Mieter umlegen lassen, verrät die Betriebskostenverordnung (BetrkV).

Schritt 2: Gebäudeertragsanteil ermitteln

Wenn der Reinertrag feststeht, ziehst du davon die Bodenwertverzinsung ab, um den Gebäudeertragsanteil zu ermitteln.

Oder in einer Formel ausgedrückt:

Gebäudeertragsanteil = Reinertrag – Bodenwertverzinsung

Bodenwertverzinsung

Die Bodenwertverzinsung trägt der Tatsache Rechnung, dass ein unbebautes Grundstück im Wert steigen kann. 

Für diese Größe wird der Bodenwert mit dem Liegenschaftszins multipliziert:

Bodenwertverzinsung = Bodenwert x Liegenschaftszins

Bodenwert

Über den Bodenwert haben wir bereits ausführlich im Artikel Sachwertverfahren geschrieben. Er ist auch für das Ertragswertverfahren wichtig und wird folgendermaßen ermittelt:

Bodenwert = Grundstücksgröße x marktkonformer Bodenwert (Bodenrichtwert)

Der marktkonforme Bodenwert wird regelmäßig von den Gutachterausschüssen der Bundesländer herausgegeben.  

Liegenschaftszins

Unter dem Liegenschaftszins versteht man das zu erwartende Verhältnis zwischen Kaufpreis und Einnahmen.

Die Formel dafür lautet:

Liegenschaftszins = Jahresreinertrag x 100 ÷ Kaufpreis 

Nehmen wir an, du bewertest eine Immobilie, die 500.000 Euro kostet und pro Jahr 15.000 Euro Reinertrag (also Mieteinnahmen minus Bewirtschaftungskosten) liefert. Dann läge der Liegenschaftszins bei 3.

Würde die Immobilie bei gleichem Kaufpreis nur 10.000 Euro Reinertrag liefern, betrüge der Liegenschaftszins 2.

Was bedeutet das nun für die Immobilienbewertung?

Zum einen lässt ein hoher Liegenschaftszins darauf schließen, dass der Kaufpreis schneller durch die Einnahmen „hereingeholt“ wird als bei einem niedrigen Zins. Die zu erwartende Rendite ist höher.

Dem gegenüber steht jedoch ein höheres Risiko bei Mietausfällen. Immobilien mit niedrigem Liegenschaftszins gelten als wertbeständiger und weniger risikoreich. 

Das spiegelt sich in den üblichen Liegenschaftszinsen für verschiedene Gebäudetypen wider: Während freistehende Einfamilienhäuser einen Zins von 2–3,5 % aufweisen – also moderate Rendite bei geringem Risiko versprechen – sind Rendite und Risiko bei Büro- und Geschäftshäusern (4–7,5 %) wesentlich höher. 

Bitte beachte, dass die oben genannte Formel nur einen Näherungswert ergibt. Die exakte Berechnung des Liegenschaftszinses ist wesentlich komplexer, da neben dem Reinertrag auch folgende Parameter berücksichtigt werden müssen:

  • Lage der Immobilie
  • Art der Immobilie
  • Immobiliengröße
  • Alter
  • Restnutzungsdauer

Aus diesem Grund ist es sinnvoll, auf professionell und objektiv ermittelte Liegenschaftszinsen zurückzugreifen. Du findest diese im Grundstücksmarktbericht, der regelmäßig von deinem regionalen Gutachterausschuss herausgegeben wird. Die Einsicht ist meistens kostenpflichtig. Noch genauere Angaben erhältst du, wenn du den Liegenschaftszins von einem Gutachter ermitteln lässt. 

Möchtest du vorerst nur eine grobe Orientierung über den Liegenschaftszins erhalten? Dann hilft dir §188 des BewG weiter.

Anschließend kann der Gebäudeertragsanteil anhand der bereits erwähnten Formel berechnet werden:

Gebäudeertragsanteil = Reinertrag – (Bodenwert x Liegenschaftszins)

Schritt 3: Gebäudewert ermitteln

Um den Gebäudewert zu ermitteln, wird der bereits berechnete Gebäudeertragsanteil mit dem sog. Rentenbarwertfaktor bzw. Vervielfältiger multipliziert.

Die Formel lautet:

Gebäudewert = Gebäudeertragsanteil x Rentenbarwertfaktor (Vervielfältiger)

Rentenbarwertfaktor

Der Vervielfältiger gibt Ausschluss darüber, wie sich der Reinertrag einer Immobilie abhängig vom Liegenschaftszins und der Restnutzungsdauer voraussichtlich verändern wird. 

Dabei wirkt sich ein niedriger Liegenschaftszins positiv auf den Reinertrag aus, da das Risiko von Mietausfällen verringert wird. Dasselbe gilt für eine lange Restnutzungsdauer: Der Besitzer der Immobilie kann länger Erträge erzielen. 

Der Vervielfältiger wird mit dieser Formel berechnet: 

(qn – 1) / (qn x i)

i = Liegenschaftszins

q = i+1 

n = Restnutzungsdauer

Restnutzungsdauer

Über die Berechnung der Restnutzungsdauer haben wir bereits hier (Link Sachwertverfahren) geschrieben.

Die Formel lautet:

Restnutzungsdauer= Gesamtnutzungsdauer – Alter der Immobilie 

Während das Alter der Immobilie einfach zu ermitteln ist, benötigst du zur Berechnung der Gesamtnutzungsdauer weitere Informationen (siehe hier: Artikel zum Sachwertverfahren).

Kurz gesagt, findest du die Gesamtnutzungsdauer für verschiedene Gebäude in Anlage 3 der Sachwertrichtlinie

Gehen wir beispielshalber davon aus, dass der Liegenschaftszins bei 3 liegt, während die Restnutzungsdauer 30 Jahre beträgt.

Nun kannst du den Liegenschaftszins mit der oben genannten Formel errechnen. Oder du schlägst in 

Anlage 21 des Bewertungsgesetzes (BewG) nach und siehst: Der Vervielfältiger beträgt für das Beispielobjekt 19,6 %.

Multipliziert mit dem Gebäudeertragsanteil ergibt das den Gebäudewert.

Schritt 4: Bodenwert addieren

Zum vorher ermittelten Gebäudewert wird nun der Bodenwert addiert, was den vorläufigen Ertragswert ergibt.

Schritt 5: besondere objektspezifische Grundstücksmerkmale

Bisher erfolgte das Ertragswertverfahren vor allem anhand von standardisierten Werten – beispielsweise der üblichen Erträge am Standort oder der Gesamtnutzungsdauer in Abhängigkeit vom Gebäudetyp.

Doch natürlich besitzt jede Immobilie besondere Merkmale, die ihren Wert erhöhen oder schmälern können. Diese werden – dargestellt als Summe in Euro – zum vorläufigen Ertragswert addiert oder davon abgezogen.

Zu den Merkmalen, die den Wert einer Immobilie senken, gehören

  • Bauschäden
  • Baumängel
  • auf der Immobilie ruhende Lasten
  • Rechte Dritter an der Immobilie
  • wirtschaftliche Überalterung
  • Freilegungskosten
  • Bodenverunreinigungen

Daneben gibt es wertsteigernde Merkmale – z. B.

  • besondere Ertragsverhältnisse
  • überdurchschnittlicher Erhaltungszustand
  • besonders hochwertige Ausstattung und Anlagen

Mehr über diese Merkmale erfährst du hier (Hier geht’s zum Artikel Sachwertverfahren).

Max Karänke

Ich bin Sachverständiger für Immobilienbewertung und über 15 Jahre in der Immobilienbranche tätig. Meine Gutachten schreibe ich für Gerichte, Unternehmen, Kommunen und Privatpersonen. Auf meinem Blog erkläre ich Immobilienthemen leicht verständlich.